Ingo ist in Begriff, ein Wesen zu kreieren, einen Mann, der vom Antihelden mit reichlich Unvermögen unversehens zum Helden aller Helden wird und den Göttern müde lächelnd ein Schnippchen schlägt. "Schluss mit billigen Krimis!! Ich bin Ingo Lenz und ich scheiß auf euch!"
Dies soll nicht nur der Auftakt seines Romans sein, es würde der Beginn einer turbulenten Ära, zugleich soll es aber vor allem das Ende seines alten Lebens bedeuten.
Er ahnt zwar noch nicht, in welchem Ausmaß, aber es soll wirklich alles anders werden. Und hier an dieser Stelle würde jeder Leser beschließen, sofort weiter und vor allem zu Ende zu lesen. Ingo ahnt, dass dies der Schlüssel zu seinem neuen Leben sein wird, er würde wieder Herr im Haus, über sich selbst sein.
Was ist "normal"? Verschwende deine Zeit nicht, mach es wie wir! Übernimm endlich Verantwortung! Fuck, ich habe all die Jahre versucht, es so zu tun wie die, und habe schließlich meine Zeit verschwendet...! Ich krempele jetzt mein Leben um und übernehme endlich Verantwortung!
Und hier im Dunkel seiner Welt schmerzt ihn die Vorstellung, die falschen Karten gespielt zu haben und gegen richtige Möglichkeiten eingetauscht zu haben...
...getauscht allzu leichtfertig gegen ein Otto-Normal-Leben mit Sicherheiten und dem Verfassen von Abenteuern eines Anderen, eines Mannes, den es gar nicht gibt. Die Angst hat also gegen die Zuversicht gewonnen. Was nützt mir die Sicherheit hier ohne Lust?
Inzwischen ist die Klientel auch noch zu faul, den ganzen Scheiß selbst zu lesen. Aber das liegt wohl an der Sache selbst.
Wenn das so weiter geht, dann gibt es nen Button im Schädel und man braucht nur noch Updates hochladen, damit man noch mehr Fressen in sich rein stopfen kann.
Zombieromane sind derzeit echt der Renner. Sie fressen nicht nur deinen Körper sondern auch deine Zeit. Ja, vielleicht ist man ja nur faul, weil man keine Zeit hat. Zeit ist Geld, aber kann man sich seine auch wieder zurück kaufen?
Selbstmordgedanken erhellen Ingos Gemüt, und das hat nichts mit Maries Verschwinden zu tun. Es gibt Zeitgenossen, die würden Ingo ohnehin als schwermütig bezeichnen. Von jeher gibt er sich gerne diesen Endzeitträumereien, wie man ein Menschenleben, tilgt, leidenschaftlich hin und schwärmt von einem Ende mit Paukenschlag: Blut, Knochensplitter, Schleim, Knorpel, Pistole, Galgen, Erdloch, Ertrinken - Hashtag - Vergiftung. Kurzum Ingo ist dieser leidenschaftliche, melancholische, suizidale Typ mit den ganzen guten Musikscheiben im Wohnzimmer und einem laufenden Hauskredit. Er ist genau der Typ, der einfach keine Gefahr darstellt, für nichts und niemanden, der sich aber insgeheim wünscht, Gefahren zu erfahren, um ihnen heroisch zu strotzen, um sich über sie zu beschweren, wo und wie auch immer sie sich ihm zeigten... Wäre er nur nicht dieser neurotische Pedant, der sein Geld mit dem Überprüfen von Romanen verdiente...