
Die Geschichte der Popmusik weist für den mittlerweile fast zur kämpferischen Phrase mutierten Ausruf des Genre-Tods etliche Beispiele auf. Auch Enter-Shikari-Sänger Rou Reynolds hat die Konventionen musikalischer Gattungen schon mehr als einmal für veraltet erklärt. Das neue Album seiner Band scheint diese Haltung zu verkörpern wie kaum eine andere Platte der jüngeren Vergangenheit. Auf „Nothing Is True & Everything Is Possible“ stehen Rave-Rock, Jazz-Walzer oder sogar reine Orchesterwerke nicht im Widerspruch zueinander, sondern geben sich wie selbstverständlich die Hand, ohne dabei ein eigenständiges und markantes Klangbild zugunsten von verrückten Kombinationsspielchen aufzugeben. Julius und Jakob bringt das zu einer intensiven Diskussion über oft verpönte Versuche, Musik kategorisch zu beschreiben. Manifestieren sich in Enter Shikaris Werk nicht gerade durch die spektakuläre Gegenüberstellung scheinbar konträrer Welten die Klischees einzelner Genres umso stärker? Sind es die Künstler*Innen oder das Publikum, die für verallgemeinernde Konstrukte im Diskurs sorgen? Ist Genre-Denken beim Komponieren hinderlich oder entstehen durch das bewusste Verstehen des Repertoires gerade erst die spektakulärsten Neuschöpfungen, wie es das Beispiel Zeal & Ardor zeigt? Und wie sehr spielen eigentlich jahrhundertealte Konventionen aus der klassischen Musik bei Enter Shikari und in der Popmusik im Allgemeinen heute noch eine Rolle? Ein 90-minütiger Talk in Schubladen, aber ohne Scheuklappen.